Tuesday, August 29, 2006

Ich bin ein Burschi, holt mich hier raus!

Ich bin seit wenigen Stunden Mitglied in der Studentenverbindung "Värmlands Nation Uppsala". Bevor Ihr mir nun die Freundschaft kündigt, lasst mich beteuern: Es ist nicht so, wie Ihr denkt!
Es gibt in Uppsala 13 Studentenverbingungen, so genannte Nationen (schwedisch "Naschun" ausgesprochen). Für jeden Studenten genauso wie für jeden Studentin ist es Pflicht, in einer dieser 13 Verbindungen Mitglied zu sein. Ohne Verbindung keine Immatrikulation, ohne Immatrikulation keine Zulassung zu Prüfung und schon gar kein Studentenausweis. Die Verbindungen übernehmen hier die Funktion, die bei uns das Studentenwerk hat, sie werden deshalb als ganz traditioneller und selbstverständlicher Teil des Studentenlebens angesehen. So haben die Nationen auch wenig mit den dummgesoffenen Tübinger Burschis mit Großmachtambitionen, Putzfrau und SLK-fahrendem Rechtsanwalt-Papi gemeinsam. Farbentragen und Mützen, die noch das Warturgfest miterlebt haben, gibt es hier auch nicht und wenn Du einem Uppsalaner Verbindungsfunktionär sagst, in Tyskland sei es ganz normal, dass sich Burschis mit Degen die Wangen aufritzen, wäre er wahrscheinlich einigermaßen geschockt.
Was es aber gibt, sind Verbindungshäuser. Jede Verbindung hat ihr Haus inklusive eines eigenen Pubs, in denen nur Studenten hinein dürfen und wo das "Stor Starck" (damit meint man für "unsere" Verhältnisse normalstarkes Bier, das man in Schweden nur im "Systembolaget" kaufen kann) billig ist. Sieht man von einem Schickimickibussibussistockholmkannichmirabernichtleisten-Club ab, spielt sich in Uppsala das gesamte Nachtleben in diesen Pubs ab - und schlecht ist es nicht.
Trotzdem muss ich sagen: Es gibt gewisse Dinge, bei denen ich mir als Burschenschafts-Gegner seltsam vorkomme. Zum Beispiel recht formelle Dinner mit Dresscodes, bei denen Trinklieder gesungen werden. Andere Länder, andere Sitten eben.

I will have my fun but they cannot take my pride,
cfö

Monday, August 28, 2006

Everything louder than everything else: Geburtstagsbericht und neue Bilder

Bis vor zwei Stunden und elf Minuten hatte ich Geburtstag. Ich habe ja nun schon 24 davon erlebt und sehr viele sehr schöne (ich denke da zum Beispiel an das Reinfeiern des letzen Jahres, an London, an New York, an den Gardasee...), aber keiner davon war so international wie dieser. Den Tag habe ich in Stockholm verbracht, zusammen mit meinen Eltern, die für eine Woche hier in der Gegend einen Urlaub eingeschoben haben. Heute Abend gab es dann ein standesgemäßes Gettogether im kosmopolitisch besetzten Wohnheim. Jeder meiner Gäste hat auf der gemeinschaftlichen Geburtstagskarte einen Gruß in seiner Muttersprache hinterlassen. Ich habe elf verschiedene Sprachen gezählt. Deutsch, Englisch, Schwedisch, Chinesisch, Japanisch, Französisch, Russisch, Niederländisch, Finnisch, Spanisch, und einen, wie mir sein Benutzer erklärte, seltenen französischen Akzent. Das muss ich mir richtig bewusst vergegenwärtigen: Ich bin vor zehn Tagen nach Schweden gekommen und habe mir natürlich Sorgen gemacht, ein halbes Jahr einsam wie Kaspar Hauser in meinem Zimmerchen zu sitzen. Und nun konnte ich meinen Geburtstag mit rund 15 Internationals feiern, die mir einen Kuchen gebacken und für ein cooles Kapuzenshirt der Universität Uppsala zusammen gelegt haben. Ich mache mich nicht gerade des inflationären Gebrauchs starker Worte schuldig, wenn ich sage: Ich bin gerührt. Außerdem möchte ich mich natürlich genauso herzlich bei allen bedanken, die mir aus der fernen Heimat Geburtstagsgrüße haben zukommen lassen. Leider habe ich es noch nicht geschafft, die Mails zu beantworten, ich war heute gerade einmal eine Stunde in wachem Zustand daheim. Also sorry, aber das kommt noch! Jetzt kommen ein paar Bilder. Zum einen zeigen diese Szenen des gerade vergangenen Geburtstagsumtrunks in der Wohnheim, zum anderen, auf Anfrage Valentins (Walle, Dein Wunsch ist mir Befehl) zwei oder drei Impressionen vom Wohnheim und meinem Zimmer als solchem.

Hier meine internationale Happy-Birthday-Gemeinschaft:
















Bekanntlicher Weise ich, mit neuem Uppsala-Shirt:



















OK, hier mal das Wohnheim von außen:

Mein Zimmer zum ersten:

Und zum zweiten:
















Walle, sind das diese Schneckennudeln, von denen Du so begeistert erzählt hast? Sie heißen hier "Bulle"...
















Der Status Quo: Ich gehe jetzt pennen.

In flames,
cfö

Wednesday, August 23, 2006

Die Titanic Schwedens















Heute wird es historisch, meine Freunde. Am Wochenende war ich im Vasa-Museum in Stockholm, wo das schwedische Kriegsschiff Vasa aus dem 17. Jahrhundert ausgestellt ist. Ein unglaublich beeindruckender Koloss von Segeschiff und das Lehrstück der Weltgeschichte schlechthin für misslungene Innovationspolitik und fehlgeleitetes Technologiemanagement.
Es war so: Während des 30-jährigen Krieges geriet die Seegroßmacht Schweden zur Mitte der 1620er Jahre unter Druck. Geheimdienstberichte brachten die Kunde an den schwedischen Hof, dass Polen an einem Kriegssegler von bisher nie da gewesener Größe arbeitete, außerdem schien Dänemark ganz offensichtlich eine Fregatte mit zwei übereinander platzierten Kanonendecks zu entwickeln - ein Schiff von solch einer Feuerkraft befand sich bis dato nicht in der Flotte des Schweden-Königs Gustav Adolf. Also gab er die Vasa in Auftrag. Ihre Eckdaten: 62 Meter lang, drei demontierbare Masten, zwei Kanonendecks inklusive Achter-Kanonen, zwei übereinander gebaute Wehrgänge am Achterkastell für den Nahkampf und stolze 437 Mann Besatzung. Das Schiff war grell bemalt und sollte den Gegner schon durch seine Optik das Fürchten lernen. So waren beispielsweise die Kanonenklappen mit geschnitzen Löwenfratzen versehen, die dem Gegner bei geöffneten Lucken entgegen grinsten, außerdem drängten sich am Achterkastell Statuen von antike Seegöttern und römischen Soldaten, die ein furchteinflößendes Symbol für den schwedischen Großmachtstatus sein sollten.
Der Bau des Potts allerdings lief nicht so ganz rund: Gustav Adolf setzte den Baumeister des Vasa-Projekts, einen Niederländer, immer mehr unter Druck. Er wollte, als der Kiel der Vasa bereits fertig gestellt war, noch mehr Kanonen in das Schiff integrieren. Der Niederländer aber erteilte dem eine Absage. Mehr Kanonen bedeuteten mehr Gewicht und dies wiederum machte eine Schwerpunktverlagerung im schon fertigen Kiel nötig. Sein Kompromissvorschlag an den König war, mehr Zeit für die Fertigstellung zu bekommen und so die nötige Schwerpunktverlagerung durchführen zu können. Dies aber verbat der König, schließlich saßen ihm Dänemark und Polen im Nacken. Das Ende vom Lied: Die Vasa bekam mehr Kanonen als geplant, der Schwerpunkt blieb.
Am 10. August 1628 brach die Vasa im Hafen von Stockholm zu ihrer Jungfernfahrt auf. Die Bevölkerung der Hauptstadt drängte sich an den Kaimauern, um das neue schwedische Flaggschiff zu bejubeln. Weit allerdings kam die schlussendlich fehlkonstruierte Vasa nicht: Nach nur etwa 1.500 Metern Fahrt kenterte sie noch im Stockhomer Hafenbecken und versank mitsamt Besatzung, Römerstatuen und Kanonen in der Ostsee.
In den 1950er Jahren gelang einigen cleveren Archäologen die Bergung - ein Unterfangen, das nicht nur für die Vasa als künftiges Museumsstück, sondern auch für die Arbeiter riskant war. Mit speziellen Bohrern wurden circa ein Meter breite Kanäle in den Seeschlamm unterm Schiffsrumpf gebohrt, durch die dann Marinetaucher durchkrabbeln durften, um die Seile eines riesigen Seekrans um das Schiff zu legen.
Heute steht die Vasa, vom Schlamm befreit und konserviert in einem eigens angelegten Museumsbau am Stockholmer Hafen. Glaubt mir, das ist wirklich beeindruckend! Außerdem möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es meines gesamten Einfallsreichtums bedurfte, um bei den Lichtverhältnissen im Museum das obige Foto aufzunehmen.

Monday, August 21, 2006

Hot from the press: Fotos aus Schweden

God dag!

Heute soll's mal ein paar der diversen Bilder geben, die ich in den letzten Tagen geknipst habe.

Zunächst ein Foto, das recht typisch ist für Uppsala. Es zeigt den riesigen Dom, der die größte Kirche ganz Skandinaviens ist und in dem unter anderem Gustav Vasa begraben liegt.





















Hier unsere chaotische Wohnheimküche:
















Eine Impression aus der Hafengegend von Stockholm:




















Und das bin ich im Innenhof des alten Stadhuset (Rathaus) in Stockholm:





















Ich sitze hier gerade im Wohnheimzimmer rum (habe mir Zugangsdaten fürs DSL geliehen, so kann ich nun auch von hier aus online gehen) und warte auf ein Pancake-Essen samt Bierprobe, das heute Abend statt findet und zum Welcome-Program für International Students in Uppsala gehört. Ansonsten habe ich inzwischen ein Fahrrad: Ein altes Damenmountainbike, das mir zu klein ist und zwei Achter hat. Aber: Es war umsonst und um in die Stadt zu eiern reicht es. Ich kann nur nicht freihändig fahren, weil die Laufräer so schlingern (der Achter wegen) und es mich sofort hinhauen würde.
Alles Gute wünscht
cfö

Sunday, August 20, 2006

Im Norden viel Neues

Hej dort draussen vor den Computergeräten!

Das Breitband-DSL ins Wohnheimzimmer ist noch in Arbeit, so gibt es heute nur eine kurze Zwischenmeldung von einem öffentlichen Rechner. Also: Ich bin gut in Uppsala, meiner neuen Wirkungsstätte fuer das nächste halbe Jahr, angekommen.
Mein Wohnheimzimmer ist ganz schön nobel (alles andere wäre auch unverschämt fuer den Preis), ich schaue direkt auf den Dom und das Schloss. Nur der Verkehr ist etwas laut. An der Uni sind noch ein paar administrative Unklarheiten zu beseitigen, dann kann es auch da losgehen. Die letzten Abende und Tage habe ich zusammen mit meinen neuen Mitbewohnern schon intensiv genutzt, so habe ich unter anderem schon die erste schwedische Disko besucht. Heute dann haben wir Stockholm unsicher gemacht. Jetzt geht's ab in die Wohnheimkueche (zwölf Benutzer und sieht auch so aus) und es kommt erstmal eine Tiefkuehllassagne in die Röhre.

Baby, I know times are changing,
cfoe.

Sunday, August 13, 2006

Wanna caucus with me? Security Council Resolution 1701

Exellencies,

talking about a matter of diplomacy I will now switch to my favourite official UN-language :-)













As you probably know: The problem of using the internet is not that there does not exist an information you need - the only problem is how to find all the shit. For example today: I desperately tried to find the latest Security Council Resolution 1701 dealing with the current Lebanon crisis. Not an easy job: The latest resolution published on the Security Council's website is number 1700 - at the end I managed to derive it from bb.co.uk (http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/middle_east/5249488.stm).

The crucial point is clearly operative clause one: "Calls for a full cessation of hostilities based upon, in particular, the immediate cessation by Hezbollah of all attacks and the immediate cessation by Israel of all offensive military operations;". Without taking sides to apparently one can say that the resolution lets Israel get off lightly: Stopping the Hezbollah the Council leaves it up to the interpreation of Olmert (and the Bush-guys) what exactly the semantic coverage of "offensive" is. Obviously only until the bluehelmets (15.000 international soldiers plus 15.000 Lebanese) are deployed. The negotiated ceasefire starts tomorrow, Monday, 7 am.

Deciding to remain actively seized of the matter,
cfö.

Friday, August 11, 2006

Because the night belongs to us












BVs Geburtstag schrie geradezu nach einer artgerechten Zelebrierung und so machten wir uns am vergangenen Wochenende einmal wieder in Stuttgarter Bars und Clubs auf. Auftakt im Varanga (keine Ahnung, ob richtig geschrieben) hinterm Museumswürfel, dann weiter an die "Theo" ins Mono. Dort kamen wir in den Genuss einer dieser Kleinigkeiten, die einfach Spaß machen. Wir stehen also vorm Club, diskutieren kurz, ob wir reingehen, entscheiden uns auch dafür und spazieren an den beiden Türstehern vorbei ins Innere. Direkt hinter uns her zwei Typen, die man kaum beschreiben kann, ohne politisch unkorrekt zu werden. An unsere Ohrenwinkeln wehen folgende Schallwellen:
Türsteher: "Gehört Ihr noch zu der Gruppe, die grad rein is?"
Typ: "Ey, mann, sehn wir so aus oder was?!"
Türsteher: "Na dann ... vergiss es!"
Strike.
Danach weiter in in diese 70s-Bar beim Palast, deren Namen ich nicht weiß. Dafür habe ich ein Bild von ihr gegoogelt und dazu gestellt. Schlechtester Service ganz Stuttgarts, geht da nicht hin, Leute. Cool war nur, dass die Arroganzschleuder von Bedienung keinen Bock auf Rechnen hatte und uns fünf Leuten für zwei Runden unglaubliche 9 Euro 17 abverlangt hat. Also: Zehn Euro auf die Theke, "Stimmt so" und adios.

Purple rain, purple rain,
cfö.

Wednesday, August 09, 2006

Nachlese New York

Für ein Seminar über Reportagen habe ich unsere New York Erlebnisse, dank einer Umfangvorgabe vom Seminarleiter leider recht ausführlich, aufgeschrieben. Eigentlich ist das schon so alles passiert, allerdings natürlich nicht an einem Tag, wie im Text der Anschein erweckt wird. Hier jedenfalls das opus:

Als wir versuchten, echte New Yorker zu sein

„He was like: ‚Forget it!“ sagt das Mädchen neben mir und hört sich dabei sehr empört an.
„Wadda hell?“ fragt ihre Freundin, die ihr gegenüber sitzt und sich auch sehr empört anhört.
„And I was like … you know?“, sagt das Mädchen. Nein, weiß ich nicht, denke ich mir und bin gespannt. Dann rumpelt die Subway in die Halteselle 42nd Street und ist zu laut, als dass ich noch etwas vom belauschten Gespräch verstehen könnte. Times Square. Oben verknoten sich Ströme aus Autos und Passanten, ganz oben blinken tausende Lichter und unten liegen die Gleise einer riesigen Metro-Station, die sich gleich über mehrere Blocks zieht. Hier müssen wir umsteigen, wechseln in eine der roten Linien Downtown in den Financial District. Die beiden I-was-like-and-he-was-like-Mädchen bleiben in der Subway sitzen und wir kämpfen uns über den überfüllten Bahnsteig.
Es ist 9:30 a.m. und deshalb stürmen die New Yorker an uns vorbei, um zur Arbeit zu gelangen. In der Subway kennen sie genau drei sinnvolle Verhaltensweisen: Schlafen, Times lesen und, und das ist am beliebtesten, iPod hören. Steve Jobbs könnte wahrscheinlich allein davon in luxuriösester Weise alt werden, was an diesem Morgen durch die New Yorker Subway getragen wird.
Wir warten auf unseren Zug. Neben uns stehen zwei Cops, der eine groß und ziemlich dick, der andere schon etwas älter und drahtig. Sie sprechen über das Baseballspiel am nächsten Sonntag. Wir hören, dass die Mets die Brewers besiegen werden und dass der große Cop mit seinem Sohn ins Stadion nach Queens gehen will. Kurz bin ich ein bisschen neidisch, freue mich dann aber lieber auf die Fußball-WM.
Die Subway beamt uns weiter südwärts. Schräg gegenüber sitzt ein offensichtlich schwules Pärchen. Der eine von Ihnen hat einen Hundewelpen auf dem Schoß und die beiden diskutieren, welchen Namen das Tier bekommen könnte. Als sie nicht weiter kommen, ziehen sie den Yuppie mit den gegelten Haaren zu Rate, der einen Meter weiter steht. Nachdem er, natürlich, einen seiner iPod-Ohrstecker herausgenommen hat, schlägt er etwas vor, was ich nicht verstehe. Doch das kommt nicht an. „Too gay“, meint einer der Hunde-Männer, worüber ich mich sehr freue. So funktioniert Kommunikation in New York. Jeder quatscht jeden an und teilt so seine Probleme mit der Stadt. Besonders gerne natürlich in der Metro, wo ja eh vom Börsenmakler bis zur Starbucks-Bedienung alle gleich sind. So erfährt man von großen und kleinen Katastrophen wie Ehekrisen oder Ratlosigkeit bei der Namenssuche für einen Hundewelpen.
An der World Trade Center Site hat der Hund immer noch keinen Namen. Egal: Wir steigen hier aus und die Treppen zur bekanntesten Baustelle der Welt, Ground Zero, hinauf. Wir hatten noch kein Frühstück und setzen uns deshalb in den nächsten Diner. Ich esse Eier mit Speck und komme mir komisch vor, weil einen Block weiter so viele Menschen gestorben sind und ich ihnen übers Fernsehen dabei zugesehen habe. Den anderen geht es ähnlich und wir sagen deshalb Sätze wie: „Nee, das is schon irgendwie unvorstellbar.“ Oder: „Wenn Du Dir mal überlegst, das is jetzt schon fünf Jahre her, doch krass, oder?“ Dann erzählen wir, dass wir gerade Einkaufen waren als der Terroranschlag stattfand oder dass wir den Fernseher gerade in dem Moment angeschaltet haben, als das zweite Flugzeug in den zweiten Turm krachte, oder dass wir erst gedacht haben, es sei nur Werbung für irgendeinen Kinofilm.
Nach Eiern, Speck und noch ein paar Katastrophenerinnerungen mehr gehen wir zur St. Pauls Cathedral hinüber. Hier reden wir nichts mehr, denn nun holt uns nach dem wohligen Schauer des multimedialen Dabeiseins echte Betroffenheit ein. Die kleine Kathedrale steht nur Meter von Ground Zero entfernt und wurde am 11. September 2001 zum Zufluchtsort für Überlebende und Helfer. An den Wänden des Kirchenschiffs hängen Briefe, die Ehefrauen, Ehemänner und Kinder an ihre gestorbenen Familienmitglieder geschrieben haben. Sie hoffen, sich wieder zu treffen. In heaven.
New York ist Kontrastprogramm, deshalb müssen wir nicht lange traurig sein. Zehn Minuten später stehen wir also zwei Blocks weiter in einer der unzähligen Starbucks-Filialen Manhattans. Hektische Anzugträger, die zwischen zwei Meetings einen Kaffee brauchen, ersetzen die andächtige Ground-Zero-Stimmung durch pulsierendes Leben. Einen normalen Kaffee will seltsamerweise keiner von ihnen. Über die Theke wandern Frapuchinos mit Sahnehaube und Nusssirup, Mokkas mit Schokonote und Milch oder Latte Machiattos mit Karamelgeschmack. Alle übrigens in Größen nicht unter einem halben Liter. Es gibt da einen Witz, der den Starbucks-Wahnsinn auf den Punkt bringt. Er handelt davon, dass ein Kunde in einer Starbucks-Filiale Amok läuft. Danach wird einer der Angestellten von der Polizei vernommen. Er erzählt dem Polizisten: „He came in an ordered a regular. I asked: ‚Regular what…?’ And he: ‚Regular Coffee!“ And I: ‚What flavour?’ He answered: ‘Coffee-flavour!’ Man, coffee with coffee-flavour, totally weird! I told him and than he suddenly got mad…” Um nicht blöd angeschaut zu werden, lassen auch wir uns auf irgendeinen dieser Frapuchino-Karamel-Machiattos ein. Die Dinger sind derart mächtig, dass ich mir vornehme, heute nichts mehr zu essen.
Wir laufen am City Hall Park vorbei und machen uns daran, die Brooklyn Bridge zu überqueren. Ein Fußweg führt über den Fahrbahnen der Straße entlang, hinüber nach Brooklyn. Uns eröffnet sich nun einer dieser Blicke, die man nicht zurücklassen kann. Links sehen wir ganz klein die Freiheitsstatue, nach rechts erstreckt sich Manhattan. Kurz bevor die Gipfel der Hochhäuser zum Central Park hin abfallen, ragen das Empire State Building und das Chrysler Building aus dem Meer der Türme heraus. Das Chrysler Building mag ich besonders: Seine Art-Deco-Spitze ist das wahrscheinlich eleganteste Stück Architektur New Yorks. Kurz unterhalb der Aussichtsplattform ragen metallene Adlerköpfe aus der Fassade hervor und geben dem Wolkenkratzer so eine düstere Note von Erhabenheit. Ein bisschen erinnert mich das Chrysler Building deshalb an das düster-schöne Gotham City, den Comic-Moloch, durch den Batman seine Widersacher jagt. Passt irgendwie, denn Gotham City soll, so heißt es in Fan-Kreisen, New York bei Nacht darstellen.
Als wir schon fast am anderen Ufer des East Rivers angelangt sind, gehen wir an einer Familie, zwei kleine Kinder und die Eltern, vorüber, die an einer der Bänke am Rande des Fußwegs eine Pause machen. „Hier, frag den doch mal…“, sagt die Mutter. Aha, denke ich mir, Deutsche. Dann kommt der Vater auf mich zu und fragt: „Sorry, Sir, could you perhaps take a picture of us?“ Natürlich bilde ich mir sofort ein, dass er uns für echte New Yorker hält. Ich komme mir also ein bisschen cool vor, sage so amerikanisch, wie ich kann: „Yeah sure… .“ und gebe mein bestes fürs Familienalbum. Ein paar Minuten später betreten wir Brooklyner Boden. Es sieht langweilig aus hier.
Zurück in Manhattan nehmen wir die nächst beste Subway Uptown. Wir steigen am hoffnungslos überfüllten Times Square aus und laufen die 49th Street zum Rockefeller Center hinüber. Vor dem Haupteingang ist eine Eisbahn aufgebaut. In der Mitte der Bahn steht eine Trainerin, die ein vielleicht achtjähriges Mädchen um sich herumscheucht und irgendwelche Pirouetten befiehlt. Kurz schauen wir uns die bourgeoise Hall mit Boutiquen und Souvenirshops an, dann laufen wir die Avenue of the Americas weiter uptown. Kurz vorm Central Park nehmen wir einen Subways, der Sandwichladen, nicht die U-Bahn, in Anspruch. Ich nehme einen Chicken Tyriaki toasted, außerdem investieren wir alle in ein Budweiser. Das gibt es allerdings nur in einer braunen Papiertüte, schließlich darf man alkoholische Getränke auf offener Straße in den USA nur verdeckt mit sich führen.
Weil es doch noch ganz schön warm geworden ist, beschließen wir, zum Essen in den Central Park zu gehen, statt uns in den schon reichlich abgefuckten Sandwich-Laden Platz zu setzen, in dem der Boden klebt und irgendein Gangster-Hiphop dudelt. Wir laufen also einige hundert Meter in den Park hinein und nehmen am Fuß eines dieser aufgetürmten Felsenhügel Platz. Während wir uns über Cicken Tyriaki freuen und Budweiser aus der Papiertüte trinken, lassen wir das Gespräch schweifen. Als die Sonne schon fast auf dem Dach der Wolkenkratzer aufsetzt und das Budweiser längst leer ist, müssen wir erstmal die weitere Abendplanung dingfest machen. Meatpacking District, Soho, Greenwich Village, das sind die Alternativen. „Ich kenne da noch einen Geheimtipp im Greenwich Village … so in der Nähe.“ Na gut, machen wir.
Einen Subway-Ride später streifen wir durchs Greenwich Village. Ein beschauliches Dorf mitten in der Stadt. Das Raster der rechteckigen Straßenblocks, der „grid“, ist den kreuz und quer verlaufenden Gassen hier egal und die Häuser sind nicht 80, sondern drei Stockwerke hoch. In Greenwich wohnen Künstler, Intellektuelle und Schwule. Wir entdecken die berühmte Christopher Street, ja, die mit dem Christopher Street Day, aber nicht unseren Geheimtipp-Club. Also: Stadtplan raus. „Da lang!“ Da lang? Da ist kein Greenwich Village mehr, da ist Industriegebiet. Egal, wir lassen die Homostraße hinter uns und sind drei Blocks weiter plötzlich ganz allein. Um uns herum Bürogebäude mit bröckelndem Putz und ein paar Lagerhallen. Am Straßenrand parken Trucks. In Gedanken gehe ich kurz die folgenden Fakten durch: Wir befinden uns in einer Millionenstadt, die für ihre nicht gerade marginale Kriminalitätsrate bekannt ist. Wir sind dumme Touris. Wir stehen in einer sehr seltsamen Gegend rum und wedeln mit einem Stadtplan. Es ist 23 Uhr. Mir wird mulmig. Aber: „Hier muss es sein“, entscheidet einer von uns. Ein Bürogebäude. Vielleicht 20 Stockwerke hoch. Die Tür ist verschlossen. Es ist ruhig. Egal, einfach mal anklopfen. Zu meiner Überraschung schwingt die schwere Holztür tatsächlich auf. Mit Pokerface blickt uns ein ungefähr zwei Meter großer Mensch an, mustert unsere Gesichter, befindet sie für würdig und sagt: „IDs.“ Wir zeigen ihm unsere Ausweise und er zeigt mit dem Finger einen dunklen Flur hinunter, aus dem uns wage wummernde Techno-Rhythmen entgegen schlagen. „Down there and left.“ Down there and left öffnen wir eine Tür und sind da: Der Geheimtipp besteht aus einer geräumigen Tanzfläche, einer kühl durchdesignten und edel bestückten Bar, einem Podest für den DJ und jeder Menge gemusterter Tapete, die an den Wänden klebt. Außerdem gibt es eine Terrasse, oder besser gesagt eine Art Plattform am Fuß eines gemauerten Schachtes zwischen diesem und dem nächsten Gebäude. Ein Glück, es sind schon viele Menschen da, wir sind nicht uncool. Schnell kaufen wir uns Bier.
Auf der Schachtplattform komme ich mit einem Mittzwanziger ins Gespräch, der aussieht, als sei er ein dritter Gallagher-Bruder. Er ist Rockgitarrist aus Stockholm. Hier in New York will er versuchen, eine Plattenfirma für sein erstes eigenes Album an Land zu ziehen. Alles hört sich sehr chaotisch an. Er ist in irgendeinem Bagpacker-Hostel untergekommen, aus dem er aber schon morgen wieder ausziehen muss. Außerdem hat er sein Haarshampoo in Schweden vergessen. Er müsse sich langsam mal neues kaufen, sagt er, eine Woche habe er sich schon nicht mehr die Haare gewaschen. Ich mag ihn trotzdem.
Wir streifen über die Tanzfläche und beobachten eine ziemlich nackte 20-jährige, die in den Armen irgendeines Typen exstatisch zuckt, um ja nicht langsamer zu sein als M, die gerade „Popmuzik“ aus den Boxen hauen. Die Musik ist ohrenbetäubend, aber wir sind budweisertechnisch so gut versorgt, dass uns das nichts ausmacht. Unverdrossen schreien wir uns über alles Mögliche an, tanzen ein bisschen, lassen uns auf eine abgewetzte Ledercouch fallen, sehen cool aus oder kommen uns nur so vor. Als es eins ist, sehe ich auf die Uhr. Ich beschließe, mir noch ein Bier zu holen.

Zauberloser Anfang

Start.