Nachlese New York
Für ein Seminar über Reportagen habe ich unsere New York Erlebnisse, dank einer Umfangvorgabe vom Seminarleiter leider recht ausführlich, aufgeschrieben. Eigentlich ist das schon so alles passiert, allerdings natürlich nicht an einem Tag, wie im Text der Anschein erweckt wird. Hier jedenfalls das opus:
Als wir versuchten, echte New Yorker zu sein
„He was like: ‚Forget it!“ sagt das Mädchen neben mir und hört sich dabei sehr empört an.
„Wadda hell?“ fragt ihre Freundin, die ihr gegenüber sitzt und sich auch sehr empört anhört.
„And I was like … you know?“, sagt das Mädchen. Nein, weiß ich nicht, denke ich mir und bin gespannt. Dann rumpelt die Subway in die Halteselle 42nd Street und ist zu laut, als dass ich noch etwas vom belauschten Gespräch verstehen könnte. Times Square. Oben verknoten sich Ströme aus Autos und Passanten, ganz oben blinken tausende Lichter und unten liegen die Gleise einer riesigen Metro-Station, die sich gleich über mehrere Blocks zieht. Hier müssen wir umsteigen, wechseln in eine der roten Linien Downtown in den Financial District. Die beiden I-was-like-and-he-was-like-Mädchen bleiben in der Subway sitzen und wir kämpfen uns über den überfüllten Bahnsteig.
Es ist 9:30 a.m. und deshalb stürmen die New Yorker an uns vorbei, um zur Arbeit zu gelangen. In der Subway kennen sie genau drei sinnvolle Verhaltensweisen: Schlafen, Times lesen und, und das ist am beliebtesten, iPod hören. Steve Jobbs könnte wahrscheinlich allein davon in luxuriösester Weise alt werden, was an diesem Morgen durch die New Yorker Subway getragen wird.
Wir warten auf unseren Zug. Neben uns stehen zwei Cops, der eine groß und ziemlich dick, der andere schon etwas älter und drahtig. Sie sprechen über das Baseballspiel am nächsten Sonntag. Wir hören, dass die Mets die Brewers besiegen werden und dass der große Cop mit seinem Sohn ins Stadion nach Queens gehen will. Kurz bin ich ein bisschen neidisch, freue mich dann aber lieber auf die Fußball-WM.
Die Subway beamt uns weiter südwärts. Schräg gegenüber sitzt ein offensichtlich schwules Pärchen. Der eine von Ihnen hat einen Hundewelpen auf dem Schoß und die beiden diskutieren, welchen Namen das Tier bekommen könnte. Als sie nicht weiter kommen, ziehen sie den Yuppie mit den gegelten Haaren zu Rate, der einen Meter weiter steht. Nachdem er, natürlich, einen seiner iPod-Ohrstecker herausgenommen hat, schlägt er etwas vor, was ich nicht verstehe. Doch das kommt nicht an. „Too gay“, meint einer der Hunde-Männer, worüber ich mich sehr freue. So funktioniert Kommunikation in New York. Jeder quatscht jeden an und teilt so seine Probleme mit der Stadt. Besonders gerne natürlich in der Metro, wo ja eh vom Börsenmakler bis zur Starbucks-Bedienung alle gleich sind. So erfährt man von großen und kleinen Katastrophen wie Ehekrisen oder Ratlosigkeit bei der Namenssuche für einen Hundewelpen.
An der World Trade Center Site hat der Hund immer noch keinen Namen. Egal: Wir steigen hier aus und die Treppen zur bekanntesten Baustelle der Welt, Ground Zero, hinauf. Wir hatten noch kein Frühstück und setzen uns deshalb in den nächsten Diner. Ich esse Eier mit Speck und komme mir komisch vor, weil einen Block weiter so viele Menschen gestorben sind und ich ihnen übers Fernsehen dabei zugesehen habe. Den anderen geht es ähnlich und wir sagen deshalb Sätze wie: „Nee, das is schon irgendwie unvorstellbar.“ Oder: „Wenn Du Dir mal überlegst, das is jetzt schon fünf Jahre her, doch krass, oder?“ Dann erzählen wir, dass wir gerade Einkaufen waren als der Terroranschlag stattfand oder dass wir den Fernseher gerade in dem Moment angeschaltet haben, als das zweite Flugzeug in den zweiten Turm krachte, oder dass wir erst gedacht haben, es sei nur Werbung für irgendeinen Kinofilm.
Nach Eiern, Speck und noch ein paar Katastrophenerinnerungen mehr gehen wir zur St. Pauls Cathedral hinüber. Hier reden wir nichts mehr, denn nun holt uns nach dem wohligen Schauer des multimedialen Dabeiseins echte Betroffenheit ein. Die kleine Kathedrale steht nur Meter von Ground Zero entfernt und wurde am 11. September 2001 zum Zufluchtsort für Überlebende und Helfer. An den Wänden des Kirchenschiffs hängen Briefe, die Ehefrauen, Ehemänner und Kinder an ihre gestorbenen Familienmitglieder geschrieben haben. Sie hoffen, sich wieder zu treffen. In heaven.
New York ist Kontrastprogramm, deshalb müssen wir nicht lange traurig sein. Zehn Minuten später stehen wir also zwei Blocks weiter in einer der unzähligen Starbucks-Filialen Manhattans. Hektische Anzugträger, die zwischen zwei Meetings einen Kaffee brauchen, ersetzen die andächtige Ground-Zero-Stimmung durch pulsierendes Leben. Einen normalen Kaffee will seltsamerweise keiner von ihnen. Über die Theke wandern Frapuchinos mit Sahnehaube und Nusssirup, Mokkas mit Schokonote und Milch oder Latte Machiattos mit Karamelgeschmack. Alle übrigens in Größen nicht unter einem halben Liter. Es gibt da einen Witz, der den Starbucks-Wahnsinn auf den Punkt bringt. Er handelt davon, dass ein Kunde in einer Starbucks-Filiale Amok läuft. Danach wird einer der Angestellten von der Polizei vernommen. Er erzählt dem Polizisten: „He came in an ordered a regular. I asked: ‚Regular what…?’ And he: ‚Regular Coffee!“ And I: ‚What flavour?’ He answered: ‘Coffee-flavour!’ Man, coffee with coffee-flavour, totally weird! I told him and than he suddenly got mad…” Um nicht blöd angeschaut zu werden, lassen auch wir uns auf irgendeinen dieser Frapuchino-Karamel-Machiattos ein. Die Dinger sind derart mächtig, dass ich mir vornehme, heute nichts mehr zu essen.
Wir laufen am City Hall Park vorbei und machen uns daran, die Brooklyn Bridge zu überqueren. Ein Fußweg führt über den Fahrbahnen der Straße entlang, hinüber nach Brooklyn. Uns eröffnet sich nun einer dieser Blicke, die man nicht zurücklassen kann. Links sehen wir ganz klein die Freiheitsstatue, nach rechts erstreckt sich Manhattan. Kurz bevor die Gipfel der Hochhäuser zum Central Park hin abfallen, ragen das Empire State Building und das Chrysler Building aus dem Meer der Türme heraus. Das Chrysler Building mag ich besonders: Seine Art-Deco-Spitze ist das wahrscheinlich eleganteste Stück Architektur New Yorks. Kurz unterhalb der Aussichtsplattform ragen metallene Adlerköpfe aus der Fassade hervor und geben dem Wolkenkratzer so eine düstere Note von Erhabenheit. Ein bisschen erinnert mich das Chrysler Building deshalb an das düster-schöne Gotham City, den Comic-Moloch, durch den Batman seine Widersacher jagt. Passt irgendwie, denn Gotham City soll, so heißt es in Fan-Kreisen, New York bei Nacht darstellen.
Als wir schon fast am anderen Ufer des East Rivers angelangt sind, gehen wir an einer Familie, zwei kleine Kinder und die Eltern, vorüber, die an einer der Bänke am Rande des Fußwegs eine Pause machen. „Hier, frag den doch mal…“, sagt die Mutter. Aha, denke ich mir, Deutsche. Dann kommt der Vater auf mich zu und fragt: „Sorry, Sir, could you perhaps take a picture of us?“ Natürlich bilde ich mir sofort ein, dass er uns für echte New Yorker hält. Ich komme mir also ein bisschen cool vor, sage so amerikanisch, wie ich kann: „Yeah sure… .“ und gebe mein bestes fürs Familienalbum. Ein paar Minuten später betreten wir Brooklyner Boden. Es sieht langweilig aus hier.
Zurück in Manhattan nehmen wir die nächst beste Subway Uptown. Wir steigen am hoffnungslos überfüllten Times Square aus und laufen die 49th Street zum Rockefeller Center hinüber. Vor dem Haupteingang ist eine Eisbahn aufgebaut. In der Mitte der Bahn steht eine Trainerin, die ein vielleicht achtjähriges Mädchen um sich herumscheucht und irgendwelche Pirouetten befiehlt. Kurz schauen wir uns die bourgeoise Hall mit Boutiquen und Souvenirshops an, dann laufen wir die Avenue of the Americas weiter uptown. Kurz vorm Central Park nehmen wir einen Subways, der Sandwichladen, nicht die U-Bahn, in Anspruch. Ich nehme einen Chicken Tyriaki toasted, außerdem investieren wir alle in ein Budweiser. Das gibt es allerdings nur in einer braunen Papiertüte, schließlich darf man alkoholische Getränke auf offener Straße in den USA nur verdeckt mit sich führen.
Weil es doch noch ganz schön warm geworden ist, beschließen wir, zum Essen in den Central Park zu gehen, statt uns in den schon reichlich abgefuckten Sandwich-Laden Platz zu setzen, in dem der Boden klebt und irgendein Gangster-Hiphop dudelt. Wir laufen also einige hundert Meter in den Park hinein und nehmen am Fuß eines dieser aufgetürmten Felsenhügel Platz. Während wir uns über Cicken Tyriaki freuen und Budweiser aus der Papiertüte trinken, lassen wir das Gespräch schweifen. Als die Sonne schon fast auf dem Dach der Wolkenkratzer aufsetzt und das Budweiser längst leer ist, müssen wir erstmal die weitere Abendplanung dingfest machen. Meatpacking District, Soho, Greenwich Village, das sind die Alternativen. „Ich kenne da noch einen Geheimtipp im Greenwich Village … so in der Nähe.“ Na gut, machen wir.
Einen Subway-Ride später streifen wir durchs Greenwich Village. Ein beschauliches Dorf mitten in der Stadt. Das Raster der rechteckigen Straßenblocks, der „grid“, ist den kreuz und quer verlaufenden Gassen hier egal und die Häuser sind nicht 80, sondern drei Stockwerke hoch. In Greenwich wohnen Künstler, Intellektuelle und Schwule. Wir entdecken die berühmte Christopher Street, ja, die mit dem Christopher Street Day, aber nicht unseren Geheimtipp-Club. Also: Stadtplan raus. „Da lang!“ Da lang? Da ist kein Greenwich Village mehr, da ist Industriegebiet. Egal, wir lassen die Homostraße hinter uns und sind drei Blocks weiter plötzlich ganz allein. Um uns herum Bürogebäude mit bröckelndem Putz und ein paar Lagerhallen. Am Straßenrand parken Trucks. In Gedanken gehe ich kurz die folgenden Fakten durch: Wir befinden uns in einer Millionenstadt, die für ihre nicht gerade marginale Kriminalitätsrate bekannt ist. Wir sind dumme Touris. Wir stehen in einer sehr seltsamen Gegend rum und wedeln mit einem Stadtplan. Es ist 23 Uhr. Mir wird mulmig. Aber: „Hier muss es sein“, entscheidet einer von uns. Ein Bürogebäude. Vielleicht 20 Stockwerke hoch. Die Tür ist verschlossen. Es ist ruhig. Egal, einfach mal anklopfen. Zu meiner Überraschung schwingt die schwere Holztür tatsächlich auf. Mit Pokerface blickt uns ein ungefähr zwei Meter großer Mensch an, mustert unsere Gesichter, befindet sie für würdig und sagt: „IDs.“ Wir zeigen ihm unsere Ausweise und er zeigt mit dem Finger einen dunklen Flur hinunter, aus dem uns wage wummernde Techno-Rhythmen entgegen schlagen. „Down there and left.“ Down there and left öffnen wir eine Tür und sind da: Der Geheimtipp besteht aus einer geräumigen Tanzfläche, einer kühl durchdesignten und edel bestückten Bar, einem Podest für den DJ und jeder Menge gemusterter Tapete, die an den Wänden klebt. Außerdem gibt es eine Terrasse, oder besser gesagt eine Art Plattform am Fuß eines gemauerten Schachtes zwischen diesem und dem nächsten Gebäude. Ein Glück, es sind schon viele Menschen da, wir sind nicht uncool. Schnell kaufen wir uns Bier.
Auf der Schachtplattform komme ich mit einem Mittzwanziger ins Gespräch, der aussieht, als sei er ein dritter Gallagher-Bruder. Er ist Rockgitarrist aus Stockholm. Hier in New York will er versuchen, eine Plattenfirma für sein erstes eigenes Album an Land zu ziehen. Alles hört sich sehr chaotisch an. Er ist in irgendeinem Bagpacker-Hostel untergekommen, aus dem er aber schon morgen wieder ausziehen muss. Außerdem hat er sein Haarshampoo in Schweden vergessen. Er müsse sich langsam mal neues kaufen, sagt er, eine Woche habe er sich schon nicht mehr die Haare gewaschen. Ich mag ihn trotzdem.
Wir streifen über die Tanzfläche und beobachten eine ziemlich nackte 20-jährige, die in den Armen irgendeines Typen exstatisch zuckt, um ja nicht langsamer zu sein als M, die gerade „Popmuzik“ aus den Boxen hauen. Die Musik ist ohrenbetäubend, aber wir sind budweisertechnisch so gut versorgt, dass uns das nichts ausmacht. Unverdrossen schreien wir uns über alles Mögliche an, tanzen ein bisschen, lassen uns auf eine abgewetzte Ledercouch fallen, sehen cool aus oder kommen uns nur so vor. Als es eins ist, sehe ich auf die Uhr. Ich beschließe, mir noch ein Bier zu holen.
Als wir versuchten, echte New Yorker zu sein
„He was like: ‚Forget it!“ sagt das Mädchen neben mir und hört sich dabei sehr empört an.
„Wadda hell?“ fragt ihre Freundin, die ihr gegenüber sitzt und sich auch sehr empört anhört.
„And I was like … you know?“, sagt das Mädchen. Nein, weiß ich nicht, denke ich mir und bin gespannt. Dann rumpelt die Subway in die Halteselle 42nd Street und ist zu laut, als dass ich noch etwas vom belauschten Gespräch verstehen könnte. Times Square. Oben verknoten sich Ströme aus Autos und Passanten, ganz oben blinken tausende Lichter und unten liegen die Gleise einer riesigen Metro-Station, die sich gleich über mehrere Blocks zieht. Hier müssen wir umsteigen, wechseln in eine der roten Linien Downtown in den Financial District. Die beiden I-was-like-and-he-was-like-Mädchen bleiben in der Subway sitzen und wir kämpfen uns über den überfüllten Bahnsteig.
Es ist 9:30 a.m. und deshalb stürmen die New Yorker an uns vorbei, um zur Arbeit zu gelangen. In der Subway kennen sie genau drei sinnvolle Verhaltensweisen: Schlafen, Times lesen und, und das ist am beliebtesten, iPod hören. Steve Jobbs könnte wahrscheinlich allein davon in luxuriösester Weise alt werden, was an diesem Morgen durch die New Yorker Subway getragen wird.
Wir warten auf unseren Zug. Neben uns stehen zwei Cops, der eine groß und ziemlich dick, der andere schon etwas älter und drahtig. Sie sprechen über das Baseballspiel am nächsten Sonntag. Wir hören, dass die Mets die Brewers besiegen werden und dass der große Cop mit seinem Sohn ins Stadion nach Queens gehen will. Kurz bin ich ein bisschen neidisch, freue mich dann aber lieber auf die Fußball-WM.
Die Subway beamt uns weiter südwärts. Schräg gegenüber sitzt ein offensichtlich schwules Pärchen. Der eine von Ihnen hat einen Hundewelpen auf dem Schoß und die beiden diskutieren, welchen Namen das Tier bekommen könnte. Als sie nicht weiter kommen, ziehen sie den Yuppie mit den gegelten Haaren zu Rate, der einen Meter weiter steht. Nachdem er, natürlich, einen seiner iPod-Ohrstecker herausgenommen hat, schlägt er etwas vor, was ich nicht verstehe. Doch das kommt nicht an. „Too gay“, meint einer der Hunde-Männer, worüber ich mich sehr freue. So funktioniert Kommunikation in New York. Jeder quatscht jeden an und teilt so seine Probleme mit der Stadt. Besonders gerne natürlich in der Metro, wo ja eh vom Börsenmakler bis zur Starbucks-Bedienung alle gleich sind. So erfährt man von großen und kleinen Katastrophen wie Ehekrisen oder Ratlosigkeit bei der Namenssuche für einen Hundewelpen.
An der World Trade Center Site hat der Hund immer noch keinen Namen. Egal: Wir steigen hier aus und die Treppen zur bekanntesten Baustelle der Welt, Ground Zero, hinauf. Wir hatten noch kein Frühstück und setzen uns deshalb in den nächsten Diner. Ich esse Eier mit Speck und komme mir komisch vor, weil einen Block weiter so viele Menschen gestorben sind und ich ihnen übers Fernsehen dabei zugesehen habe. Den anderen geht es ähnlich und wir sagen deshalb Sätze wie: „Nee, das is schon irgendwie unvorstellbar.“ Oder: „Wenn Du Dir mal überlegst, das is jetzt schon fünf Jahre her, doch krass, oder?“ Dann erzählen wir, dass wir gerade Einkaufen waren als der Terroranschlag stattfand oder dass wir den Fernseher gerade in dem Moment angeschaltet haben, als das zweite Flugzeug in den zweiten Turm krachte, oder dass wir erst gedacht haben, es sei nur Werbung für irgendeinen Kinofilm.
Nach Eiern, Speck und noch ein paar Katastrophenerinnerungen mehr gehen wir zur St. Pauls Cathedral hinüber. Hier reden wir nichts mehr, denn nun holt uns nach dem wohligen Schauer des multimedialen Dabeiseins echte Betroffenheit ein. Die kleine Kathedrale steht nur Meter von Ground Zero entfernt und wurde am 11. September 2001 zum Zufluchtsort für Überlebende und Helfer. An den Wänden des Kirchenschiffs hängen Briefe, die Ehefrauen, Ehemänner und Kinder an ihre gestorbenen Familienmitglieder geschrieben haben. Sie hoffen, sich wieder zu treffen. In heaven.
New York ist Kontrastprogramm, deshalb müssen wir nicht lange traurig sein. Zehn Minuten später stehen wir also zwei Blocks weiter in einer der unzähligen Starbucks-Filialen Manhattans. Hektische Anzugträger, die zwischen zwei Meetings einen Kaffee brauchen, ersetzen die andächtige Ground-Zero-Stimmung durch pulsierendes Leben. Einen normalen Kaffee will seltsamerweise keiner von ihnen. Über die Theke wandern Frapuchinos mit Sahnehaube und Nusssirup, Mokkas mit Schokonote und Milch oder Latte Machiattos mit Karamelgeschmack. Alle übrigens in Größen nicht unter einem halben Liter. Es gibt da einen Witz, der den Starbucks-Wahnsinn auf den Punkt bringt. Er handelt davon, dass ein Kunde in einer Starbucks-Filiale Amok läuft. Danach wird einer der Angestellten von der Polizei vernommen. Er erzählt dem Polizisten: „He came in an ordered a regular. I asked: ‚Regular what…?’ And he: ‚Regular Coffee!“ And I: ‚What flavour?’ He answered: ‘Coffee-flavour!’ Man, coffee with coffee-flavour, totally weird! I told him and than he suddenly got mad…” Um nicht blöd angeschaut zu werden, lassen auch wir uns auf irgendeinen dieser Frapuchino-Karamel-Machiattos ein. Die Dinger sind derart mächtig, dass ich mir vornehme, heute nichts mehr zu essen.
Wir laufen am City Hall Park vorbei und machen uns daran, die Brooklyn Bridge zu überqueren. Ein Fußweg führt über den Fahrbahnen der Straße entlang, hinüber nach Brooklyn. Uns eröffnet sich nun einer dieser Blicke, die man nicht zurücklassen kann. Links sehen wir ganz klein die Freiheitsstatue, nach rechts erstreckt sich Manhattan. Kurz bevor die Gipfel der Hochhäuser zum Central Park hin abfallen, ragen das Empire State Building und das Chrysler Building aus dem Meer der Türme heraus. Das Chrysler Building mag ich besonders: Seine Art-Deco-Spitze ist das wahrscheinlich eleganteste Stück Architektur New Yorks. Kurz unterhalb der Aussichtsplattform ragen metallene Adlerköpfe aus der Fassade hervor und geben dem Wolkenkratzer so eine düstere Note von Erhabenheit. Ein bisschen erinnert mich das Chrysler Building deshalb an das düster-schöne Gotham City, den Comic-Moloch, durch den Batman seine Widersacher jagt. Passt irgendwie, denn Gotham City soll, so heißt es in Fan-Kreisen, New York bei Nacht darstellen.
Als wir schon fast am anderen Ufer des East Rivers angelangt sind, gehen wir an einer Familie, zwei kleine Kinder und die Eltern, vorüber, die an einer der Bänke am Rande des Fußwegs eine Pause machen. „Hier, frag den doch mal…“, sagt die Mutter. Aha, denke ich mir, Deutsche. Dann kommt der Vater auf mich zu und fragt: „Sorry, Sir, could you perhaps take a picture of us?“ Natürlich bilde ich mir sofort ein, dass er uns für echte New Yorker hält. Ich komme mir also ein bisschen cool vor, sage so amerikanisch, wie ich kann: „Yeah sure… .“ und gebe mein bestes fürs Familienalbum. Ein paar Minuten später betreten wir Brooklyner Boden. Es sieht langweilig aus hier.
Zurück in Manhattan nehmen wir die nächst beste Subway Uptown. Wir steigen am hoffnungslos überfüllten Times Square aus und laufen die 49th Street zum Rockefeller Center hinüber. Vor dem Haupteingang ist eine Eisbahn aufgebaut. In der Mitte der Bahn steht eine Trainerin, die ein vielleicht achtjähriges Mädchen um sich herumscheucht und irgendwelche Pirouetten befiehlt. Kurz schauen wir uns die bourgeoise Hall mit Boutiquen und Souvenirshops an, dann laufen wir die Avenue of the Americas weiter uptown. Kurz vorm Central Park nehmen wir einen Subways, der Sandwichladen, nicht die U-Bahn, in Anspruch. Ich nehme einen Chicken Tyriaki toasted, außerdem investieren wir alle in ein Budweiser. Das gibt es allerdings nur in einer braunen Papiertüte, schließlich darf man alkoholische Getränke auf offener Straße in den USA nur verdeckt mit sich führen.
Weil es doch noch ganz schön warm geworden ist, beschließen wir, zum Essen in den Central Park zu gehen, statt uns in den schon reichlich abgefuckten Sandwich-Laden Platz zu setzen, in dem der Boden klebt und irgendein Gangster-Hiphop dudelt. Wir laufen also einige hundert Meter in den Park hinein und nehmen am Fuß eines dieser aufgetürmten Felsenhügel Platz. Während wir uns über Cicken Tyriaki freuen und Budweiser aus der Papiertüte trinken, lassen wir das Gespräch schweifen. Als die Sonne schon fast auf dem Dach der Wolkenkratzer aufsetzt und das Budweiser längst leer ist, müssen wir erstmal die weitere Abendplanung dingfest machen. Meatpacking District, Soho, Greenwich Village, das sind die Alternativen. „Ich kenne da noch einen Geheimtipp im Greenwich Village … so in der Nähe.“ Na gut, machen wir.
Einen Subway-Ride später streifen wir durchs Greenwich Village. Ein beschauliches Dorf mitten in der Stadt. Das Raster der rechteckigen Straßenblocks, der „grid“, ist den kreuz und quer verlaufenden Gassen hier egal und die Häuser sind nicht 80, sondern drei Stockwerke hoch. In Greenwich wohnen Künstler, Intellektuelle und Schwule. Wir entdecken die berühmte Christopher Street, ja, die mit dem Christopher Street Day, aber nicht unseren Geheimtipp-Club. Also: Stadtplan raus. „Da lang!“ Da lang? Da ist kein Greenwich Village mehr, da ist Industriegebiet. Egal, wir lassen die Homostraße hinter uns und sind drei Blocks weiter plötzlich ganz allein. Um uns herum Bürogebäude mit bröckelndem Putz und ein paar Lagerhallen. Am Straßenrand parken Trucks. In Gedanken gehe ich kurz die folgenden Fakten durch: Wir befinden uns in einer Millionenstadt, die für ihre nicht gerade marginale Kriminalitätsrate bekannt ist. Wir sind dumme Touris. Wir stehen in einer sehr seltsamen Gegend rum und wedeln mit einem Stadtplan. Es ist 23 Uhr. Mir wird mulmig. Aber: „Hier muss es sein“, entscheidet einer von uns. Ein Bürogebäude. Vielleicht 20 Stockwerke hoch. Die Tür ist verschlossen. Es ist ruhig. Egal, einfach mal anklopfen. Zu meiner Überraschung schwingt die schwere Holztür tatsächlich auf. Mit Pokerface blickt uns ein ungefähr zwei Meter großer Mensch an, mustert unsere Gesichter, befindet sie für würdig und sagt: „IDs.“ Wir zeigen ihm unsere Ausweise und er zeigt mit dem Finger einen dunklen Flur hinunter, aus dem uns wage wummernde Techno-Rhythmen entgegen schlagen. „Down there and left.“ Down there and left öffnen wir eine Tür und sind da: Der Geheimtipp besteht aus einer geräumigen Tanzfläche, einer kühl durchdesignten und edel bestückten Bar, einem Podest für den DJ und jeder Menge gemusterter Tapete, die an den Wänden klebt. Außerdem gibt es eine Terrasse, oder besser gesagt eine Art Plattform am Fuß eines gemauerten Schachtes zwischen diesem und dem nächsten Gebäude. Ein Glück, es sind schon viele Menschen da, wir sind nicht uncool. Schnell kaufen wir uns Bier.
Auf der Schachtplattform komme ich mit einem Mittzwanziger ins Gespräch, der aussieht, als sei er ein dritter Gallagher-Bruder. Er ist Rockgitarrist aus Stockholm. Hier in New York will er versuchen, eine Plattenfirma für sein erstes eigenes Album an Land zu ziehen. Alles hört sich sehr chaotisch an. Er ist in irgendeinem Bagpacker-Hostel untergekommen, aus dem er aber schon morgen wieder ausziehen muss. Außerdem hat er sein Haarshampoo in Schweden vergessen. Er müsse sich langsam mal neues kaufen, sagt er, eine Woche habe er sich schon nicht mehr die Haare gewaschen. Ich mag ihn trotzdem.
Wir streifen über die Tanzfläche und beobachten eine ziemlich nackte 20-jährige, die in den Armen irgendeines Typen exstatisch zuckt, um ja nicht langsamer zu sein als M, die gerade „Popmuzik“ aus den Boxen hauen. Die Musik ist ohrenbetäubend, aber wir sind budweisertechnisch so gut versorgt, dass uns das nichts ausmacht. Unverdrossen schreien wir uns über alles Mögliche an, tanzen ein bisschen, lassen uns auf eine abgewetzte Ledercouch fallen, sehen cool aus oder kommen uns nur so vor. Als es eins ist, sehe ich auf die Uhr. Ich beschließe, mir noch ein Bier zu holen.
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