Uppsala Curiosities Part III: Heute schreiben wir eine Klausur
Zeit, mal wieder über was anderes als das skandinavische Wetter zu reden. Um genau zu sein: Zeit, über etwas sehr ernstes zu reden. Heute nämlich habe ich eine Klausur geschrieben und das war so:
Die Ausgangslage ist folgende. In den letzten vier Wochen haben wir knappe 2.000 Seiten Forschungsliteratur über Vergleichende Politikwissenschaft durchgenommen. Circa 1.500 davon sollten heute abgeprüft werden. Also, Schritt eins: Lesen. Lesen, was das Zeug hält. Dabei stets den Bleistift zum eifrigen Unterstreichen und die kleinen bunten Klebefähnchen bereithalten, ansonsten blickt da ja auch kein Mensch mehr durch. So stand der Oktober im Zeichen eines Galoppritts durch die Themenfelder Globalisierung, politische Partizipation in post-industriellen Gesellschaften, ethnischen Konflikten in Indien und Konsolidierung demokratischer Regime im subsaharischen Afrika. (Ja, OK, nicht der ganze Oktober. Wie sich manch einer wird denken können, war auch noch reichlich Zeit zum Quatsch machen übrig.)
Der gestrige Schmuddelwetter-Sonntag schließlich war dazu auserkoren, zur Wiederholung der gesammelten Werke herzuhalten. Dazu ein kleines Beweisfoto, um meine Arbeitswut zu untermauern. (Ach, erstens: Es war wirklich neun Uhr. Zweitens: Nein, morgens!)
Als dann heute Nacht der Wecker klingelt, zeigt er gerade einmal 06 Uhr 45 an. Ganz Schweden schläft wahrscheinlich noch, doch der eifrige Klausurenschreiber muss unerbittlich zur Pflicht übergehen. Also, raus aus den Federn, heiße Dusche und heißer Kaffee, eine Armada von Kugelschreibern eingesteckt und los geht’s: Ich ziehe Skijacke und Neoprenhandschuhe über und schwinge mich um kurz nach acht, es ist gerade hell geworden, auf mein Klapperkistenfahrrad, um über tauende Eisplatten zum Skrivsalen zu schliddern. Tja, Skrivsalen, zu Deutsch „Schreibsaal“, das ist so eine Sache: Die Universität Uppsala war irgendwann mal der Meinung, man brauche ein eigenes Gebäude nur fürs Schreiben von Klausuren. Also stellte die Unileitung ein einstöckiges Haus mitten in die Pampa fast schon vor die Tore Uppsalas, das zwei riesige Säle voller kleiner Einmann-Tische enthält und vom architektonischen Standpunkt betrachtet wahrscheinlich dem Reißbrett eines ästhetisch etwas einfacher gewickelten Gemüts entsprungen ist. Dort hinzukommen, dauert ein halbes Langzeitstudium: Von Ekeby aus strample ich in den Stadtkern, halte mich dann kurz Richtung Schnellstraße E 14 nach Dalarna, fahre durch ein Wohngebiet nach Norden bis nach einer Armada von Supermärkten ein weitläufiges Industriegebiet folgt. Kurz bevor das Nordkapp erreicht ist, ist er auch schon da, der Schrecken jedes Uppsalaner Studenten: Zwischen einer Autowerkstadt und einem Bahngleis liegt der Skrivsalen. Wer würde sich in solch einer Umgebung nicht zu geistigen Höhenflügen hingerissen fühlen? Ähnlich muss es wohl in Frankfurt ausgesehen haben, als Goethe auf die Idee kam, den Faust zu schreiben.
Doch Spaß beiseite, denn die Klausur geht los. Circa 200 Mitleidende lassen sich an ihrem Schreibpult nieder und über Lautsprecher mit letzten Instruktionen berieseln: Wir dürfen weder Jacke noch Tasche mit an den Tisch nehmen, wer auf die Toilette geht, muss seinen Namen auf einer Liste vermerken und dazu schreiben, von wann bis wann er abwesend war, auf keines der Blätter dürfen wir unseren Namen schreiben, nur eine spezielle Codezahl zur Anonymisierung. Hilfsmittel wie Forschungsliteratur sind nicht erlaubt, nur Sprachwörterbücher. Vier Aufgaben sind zu bearbeiten, dafür haben wir vier Stunden Zeit. Aus irgendwelchen Gründen, die mir nicht einleuchten, darf niemand abgeben, bevor nicht eine halbe Stunde rum ist. Da soll noch mal einer sagen, die Deutschen seien übergenau!
Um Punkt neun teilen die drei Aufsicht habenden Damen der Univerwaltung die Aufgabenblätter aus. Ich hole tief Luft und beginne zu lesen.
Aufgabe eins: Globalisierung. Der US-amerikanische Politologe Jeffrey Haynes hat in seinem jüngsten Buch Länder danach kategorisiert, in welcher Beziehung Staat und Zivilgesellschaft zueinander stehen, wobei sechs verschiedene Kategorien rauskamen. Wir sollen sie nennen. OK, denke ich mir, Mist. Das war eine Tabelle irgendwo zwischen Seite 100 und 150 des ersten Buches, soviel weiß ich. Ich nehme erstmal einen Schluck Wasser und sehe dann auf die Uhr. Neun Uhr eins. Wenigsten ein Zeitproblem habe ich noch nicht. Nach zwei Minuten bin ich mir sicher, mich an drei der sechs Typen zu erinnern. Den Rest improvisiere ich und liege damit, wie ich nachher beim erneuten Blick in den Haynes-Wälzer feststelle, auch noch richtig. Dann, Originalzitat Aufgabenblatt: „Choose two of the categories and discuss external actors possible access to domestic political institutions and their policy impact in each of the categories respectively. Also give an example of a country in each of the categories.” Hä? Zwei Aktuere und sechsmal deren Wirkung? Oder nur zweimal? Und was heißt jetzt „in jeder Kategorie“? Zwei oder sechs? Geht ja gut los der Scheißtag. Ich trete die Flucht nach vorne an und exerziere auf eineinhalb Seiten die Wirkung von ökonomischer Globalisierung in China und Deutschland durch. Währenddessen ist die erste halbe Stunde um. Der Typ neben mir, bis jetzt hat er regungslos vor sich hingestarrt, gibt ab.
Aufgabe zwei: Afrika. Wir sollen ein Schaubild zeichnen, dass die Hypothese eines weiteren US-Politologen über Demokratisierung in Afrika darstellt. Wieder weiß ich recht genau, wo das steht: Buch Nummer zwei, letztes Viertel. Ich weiß auch, wie die Hypothese funktioniert und hab den ganzen Quatsch eigentlich einigermaßen geschnallt. Nur warum zur Hölle soll ich nun auswendig wissen, welche Variable auf die x-Achse und welche auf die y-Achse kommt? Anschließend sollen wir vier verschiedene Staatentypen runterbeeten, die laut des gleichen Autors in Afrika existieren. Gut, meines Wissens spricht der nur von drei. Ich nenne also drei und lasse mir für den letzten Typ zwei Untertypen einfallen, was unterm Strich vier verschiedene gibt. Mal sehen, ob Frechheit wirklich siegt. Das Mädel vor mir gibt ab.
Aufgabe drei: Politische Partizipation. Welche Faktoren beeinflussen, inwieweit Bürger in einem Staat zu großen Teilen in Parteien eintreten und immer fleißig zur Wahl gehen? Endlich bin ich in meinem Element: Drei Seiten lang erzähle ich von Human Development, verschiedenen Wahlsystemen, postmateriellen Werten und schaffe am Ende sogar noch, den ganzen Quatsch zu einem Schaubild zu verbinden. Mittlerweile ist es kurz vor zwölf. Meine Wasserflasche ist leer, mein Magen knurrt, das Mädel hinter mir gibt ab.
Doch Durchhalten, Herr Förster, die Zielgerade ist erreicht, Aufgabe vier: Indien. Inwieweit besteht ein Zusammenhang zwischen Zivilgesellschaften und dem Ausbrechen ethnischer Konflikte? Fair, muss ich zugeben, da ausführlich im Seminar diskutiert. Also, noch mal 150 Wörter lang reinhauen, dann ist die Sache durch. Um 13 Uhr 45 beschließe ich, meinen Bemühungen, inzwischen manifestiert auf ganzen zehn Seiten, ein Ende zu setzen, gebe ab und packe mein Zeug zusammen. Als ich bei schönstem Herbstsonnenschein nach Hause radel, muss ich mich mal wieder innerlich ereifern: Was bringt einem eigentlich eine Klausur, bei der man hauptsächlich Buchinhalte runterbeeten muss? Das bereitet einen weder sonderlich auf das vor, was im späteren Otto-Normal-Job wartet, noch auf die große Karriere als Wissenschaftler. Es lebe die Hausarbeit!
Blue skies up ahead,
Cfö.
Die Ausgangslage ist folgende. In den letzten vier Wochen haben wir knappe 2.000 Seiten Forschungsliteratur über Vergleichende Politikwissenschaft durchgenommen. Circa 1.500 davon sollten heute abgeprüft werden. Also, Schritt eins: Lesen. Lesen, was das Zeug hält. Dabei stets den Bleistift zum eifrigen Unterstreichen und die kleinen bunten Klebefähnchen bereithalten, ansonsten blickt da ja auch kein Mensch mehr durch. So stand der Oktober im Zeichen eines Galoppritts durch die Themenfelder Globalisierung, politische Partizipation in post-industriellen Gesellschaften, ethnischen Konflikten in Indien und Konsolidierung demokratischer Regime im subsaharischen Afrika. (Ja, OK, nicht der ganze Oktober. Wie sich manch einer wird denken können, war auch noch reichlich Zeit zum Quatsch machen übrig.)
Der gestrige Schmuddelwetter-Sonntag schließlich war dazu auserkoren, zur Wiederholung der gesammelten Werke herzuhalten. Dazu ein kleines Beweisfoto, um meine Arbeitswut zu untermauern. (Ach, erstens: Es war wirklich neun Uhr. Zweitens: Nein, morgens!)
Als dann heute Nacht der Wecker klingelt, zeigt er gerade einmal 06 Uhr 45 an. Ganz Schweden schläft wahrscheinlich noch, doch der eifrige Klausurenschreiber muss unerbittlich zur Pflicht übergehen. Also, raus aus den Federn, heiße Dusche und heißer Kaffee, eine Armada von Kugelschreibern eingesteckt und los geht’s: Ich ziehe Skijacke und Neoprenhandschuhe über und schwinge mich um kurz nach acht, es ist gerade hell geworden, auf mein Klapperkistenfahrrad, um über tauende Eisplatten zum Skrivsalen zu schliddern. Tja, Skrivsalen, zu Deutsch „Schreibsaal“, das ist so eine Sache: Die Universität Uppsala war irgendwann mal der Meinung, man brauche ein eigenes Gebäude nur fürs Schreiben von Klausuren. Also stellte die Unileitung ein einstöckiges Haus mitten in die Pampa fast schon vor die Tore Uppsalas, das zwei riesige Säle voller kleiner Einmann-Tische enthält und vom architektonischen Standpunkt betrachtet wahrscheinlich dem Reißbrett eines ästhetisch etwas einfacher gewickelten Gemüts entsprungen ist. Dort hinzukommen, dauert ein halbes Langzeitstudium: Von Ekeby aus strample ich in den Stadtkern, halte mich dann kurz Richtung Schnellstraße E 14 nach Dalarna, fahre durch ein Wohngebiet nach Norden bis nach einer Armada von Supermärkten ein weitläufiges Industriegebiet folgt. Kurz bevor das Nordkapp erreicht ist, ist er auch schon da, der Schrecken jedes Uppsalaner Studenten: Zwischen einer Autowerkstadt und einem Bahngleis liegt der Skrivsalen. Wer würde sich in solch einer Umgebung nicht zu geistigen Höhenflügen hingerissen fühlen? Ähnlich muss es wohl in Frankfurt ausgesehen haben, als Goethe auf die Idee kam, den Faust zu schreiben.
Doch Spaß beiseite, denn die Klausur geht los. Circa 200 Mitleidende lassen sich an ihrem Schreibpult nieder und über Lautsprecher mit letzten Instruktionen berieseln: Wir dürfen weder Jacke noch Tasche mit an den Tisch nehmen, wer auf die Toilette geht, muss seinen Namen auf einer Liste vermerken und dazu schreiben, von wann bis wann er abwesend war, auf keines der Blätter dürfen wir unseren Namen schreiben, nur eine spezielle Codezahl zur Anonymisierung. Hilfsmittel wie Forschungsliteratur sind nicht erlaubt, nur Sprachwörterbücher. Vier Aufgaben sind zu bearbeiten, dafür haben wir vier Stunden Zeit. Aus irgendwelchen Gründen, die mir nicht einleuchten, darf niemand abgeben, bevor nicht eine halbe Stunde rum ist. Da soll noch mal einer sagen, die Deutschen seien übergenau!
Um Punkt neun teilen die drei Aufsicht habenden Damen der Univerwaltung die Aufgabenblätter aus. Ich hole tief Luft und beginne zu lesen.
Aufgabe eins: Globalisierung. Der US-amerikanische Politologe Jeffrey Haynes hat in seinem jüngsten Buch Länder danach kategorisiert, in welcher Beziehung Staat und Zivilgesellschaft zueinander stehen, wobei sechs verschiedene Kategorien rauskamen. Wir sollen sie nennen. OK, denke ich mir, Mist. Das war eine Tabelle irgendwo zwischen Seite 100 und 150 des ersten Buches, soviel weiß ich. Ich nehme erstmal einen Schluck Wasser und sehe dann auf die Uhr. Neun Uhr eins. Wenigsten ein Zeitproblem habe ich noch nicht. Nach zwei Minuten bin ich mir sicher, mich an drei der sechs Typen zu erinnern. Den Rest improvisiere ich und liege damit, wie ich nachher beim erneuten Blick in den Haynes-Wälzer feststelle, auch noch richtig. Dann, Originalzitat Aufgabenblatt: „Choose two of the categories and discuss external actors possible access to domestic political institutions and their policy impact in each of the categories respectively. Also give an example of a country in each of the categories.” Hä? Zwei Aktuere und sechsmal deren Wirkung? Oder nur zweimal? Und was heißt jetzt „in jeder Kategorie“? Zwei oder sechs? Geht ja gut los der Scheißtag. Ich trete die Flucht nach vorne an und exerziere auf eineinhalb Seiten die Wirkung von ökonomischer Globalisierung in China und Deutschland durch. Währenddessen ist die erste halbe Stunde um. Der Typ neben mir, bis jetzt hat er regungslos vor sich hingestarrt, gibt ab.
Aufgabe zwei: Afrika. Wir sollen ein Schaubild zeichnen, dass die Hypothese eines weiteren US-Politologen über Demokratisierung in Afrika darstellt. Wieder weiß ich recht genau, wo das steht: Buch Nummer zwei, letztes Viertel. Ich weiß auch, wie die Hypothese funktioniert und hab den ganzen Quatsch eigentlich einigermaßen geschnallt. Nur warum zur Hölle soll ich nun auswendig wissen, welche Variable auf die x-Achse und welche auf die y-Achse kommt? Anschließend sollen wir vier verschiedene Staatentypen runterbeeten, die laut des gleichen Autors in Afrika existieren. Gut, meines Wissens spricht der nur von drei. Ich nenne also drei und lasse mir für den letzten Typ zwei Untertypen einfallen, was unterm Strich vier verschiedene gibt. Mal sehen, ob Frechheit wirklich siegt. Das Mädel vor mir gibt ab.
Aufgabe drei: Politische Partizipation. Welche Faktoren beeinflussen, inwieweit Bürger in einem Staat zu großen Teilen in Parteien eintreten und immer fleißig zur Wahl gehen? Endlich bin ich in meinem Element: Drei Seiten lang erzähle ich von Human Development, verschiedenen Wahlsystemen, postmateriellen Werten und schaffe am Ende sogar noch, den ganzen Quatsch zu einem Schaubild zu verbinden. Mittlerweile ist es kurz vor zwölf. Meine Wasserflasche ist leer, mein Magen knurrt, das Mädel hinter mir gibt ab.
Doch Durchhalten, Herr Förster, die Zielgerade ist erreicht, Aufgabe vier: Indien. Inwieweit besteht ein Zusammenhang zwischen Zivilgesellschaften und dem Ausbrechen ethnischer Konflikte? Fair, muss ich zugeben, da ausführlich im Seminar diskutiert. Also, noch mal 150 Wörter lang reinhauen, dann ist die Sache durch. Um 13 Uhr 45 beschließe ich, meinen Bemühungen, inzwischen manifestiert auf ganzen zehn Seiten, ein Ende zu setzen, gebe ab und packe mein Zeug zusammen. Als ich bei schönstem Herbstsonnenschein nach Hause radel, muss ich mich mal wieder innerlich ereifern: Was bringt einem eigentlich eine Klausur, bei der man hauptsächlich Buchinhalte runterbeeten muss? Das bereitet einen weder sonderlich auf das vor, was im späteren Otto-Normal-Job wartet, noch auf die große Karriere als Wissenschaftler. Es lebe die Hausarbeit!
Blue skies up ahead,
Cfö.
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